Sie sind so etwas wie das politische Sprachrohr der Punkrock-Gemeinde. Seit gut 16 Jahren haben Anti Flag die Regierenden der USA im Visier und machen ihrem Unmut über deren Entscheidungen mit deutlichen musikalischen Statements Luft.

Vor ihrem Konzert im Wiesbadener Schlachthof haben Julian und ich uns mit Chris #2 getroffen, um mit ihm über das neue Album, die anstehenden Präsidentschaftswahlen und noch viel mehr zu quatschen. Ihr könnt euch das Interview entweder durchlesen oder anhören – wie es euch gefällt.

Viel Spaß,
Euer Norman

Norman: Hi Chris, schön, dass du da bist. Wie geht es Dir?

Chris #2: Sehr gut. Wir sind jetzt seit ner Woche auf Tour und es läuft echt gut. Seit ein paar Tagen sind wir in Deutschland und wurden hier super empfangen.

 

Ihr habt euch dazu entschieden, euer neues Album „General Strike“ auf einer Klubtour zu promoten. Ihr tretet nur in sehr kleinen Locations auf…

Genau. Wir wollten einfach zurück zu den Dingen, die Anti Flag Spaß machen. Es schien, als hätten wir die letzten Jahre außerhalb unseres Wohlfühlumfelds gearbeitet. Wir haben ständig versucht, größere und noch größere Dinge zu machen. Und irgendwann stellt man sich die Frage: Machen wir das, weil wir das machen wollen? Oder machen wir das, weil die Leute genau das von uns erwarten?

Und als das mit dem Album jetzt losging, haben wir einfach ein paar Städte in den USA und Europa rausgepickt, uns dort Klubs gesucht für 400-500 Leute. Fast alle Gigs waren schnell ausverkauft, und das ist gut so. Denn jetzt kommen nur Leute, die uns kennen, die unsere Songs kennen. Das macht es viel einfacher.

So geht es mehr darum, die Punkrock-Gemeinde zu feiern, als wenn man sagt: Yo, Anti Flag haben ne neue Platte, kommt und seht uns in irgendeiner riesigen Halle, mit Lightshow und Nebel und dem ganzen Zeug. Hier geht es einfach um vier Jungs, die auf ihren Instrumenten spielen und um Leute, die uns das dankbar abnehmen.

 

Was ist deiner Meinung nach der Unterschied zwischen den großen Hallen und kleinen Klubs?

Naja, in den großen Hallen liefert man einfach ne Show ab. Du musst auch noch den Typ in der allerletzten Reihe erreichen. In den kleinen Klubs ist das Publikum genau so ein Teil der Show, wie man selbst. Und deshalb gibt es dort auch immer eine echte Verbindung und Interaktion mit dem Publikum. In den Hallen versuchst du immer nur, so gut wie möglich zu klingen, so gut wie möglich zu spielen, damit auch wirklich jeder was von der Show hat.

Wir mögen das auch. Wir lieben es, auf Festivals zu spielen, die Herausforderung, neue Leute zu erreichen. Aber mit „General Strike“ wollten wir einfach wieder etwas machen, dass uns glücklich macht.

Gibt es einen Unterschied zwischen den Konzertbesuchern in Europa und denen in den USA?

Ich glaube, die Unterschiede sind nicht allzu groß. Ich bin der Meinung, dass man Leute in Malaysia, in Wiesbaden oder Pittsburgh findet, die allesamt in der Punkrock-Szene verwurzelt sind. Sie sind ein bisschen anders als der Rest, vielleicht ist ihr Leben nicht so leicht, wie sie es gern hätten. Egal ob sie jetzt Probleme in der Schule, auf der Arbeit oder zuhause haben.

All das sind Gründe, die uns in diese Subkultur getrieben haben. Hier geht es nur darum, Leute zu akzeptieren – und das ist auf der ganzen Welt gleich.

Vergleicht man aber Deutschland mit den USA, dann wird bei euch Musik viel mehr gefeiert, den Leuten liegt deutlich mehr daran. Wenn du in den USA 18 wirst, dann hörst du plötzlich auf, bestimmte Bands zu hören und gehst nie wieder auf ein Konzert. So hast du in den USA bei jeder Show immer neue Leute. Hier in Deutschland kommen oft Fans zu mir und sagen: Man, ich habe euch hier vor fünf Jahren schon gesehen.

 

Ihr habt mehr als zwei Jahre an dem neuen Album gearbeitet. Wieso hat das so lange gedauert?

Wir hatten ganz am Anfang eine interessante Unterhaltung. Da haben wir gesagt: Man, die Leute kennen uns da draußen. Wir könnten den Rest unseres Lebens auf Tour gehen, ohne auch nur noch ein einziges Album herauszubringen. Wir könnten all unsere Songs spielen, die haben sich doch super verkauft. Oder aber, wir könnten hart an einem richtig geilen Album arbeiten, welches sich ohne Probleme mit den anderen Alben messen kann.

Und die Unterhaltung war echt schwierig, denn die Leute, mit denen wir gesprochen hatten, dachten, wir würden unsere alten Alben schlecht reden. Aber so war es nicht. Nur haben wir diese Platten immer sehr schnell gemacht, während wir zum Teil noch auf Tour waren. Wir haben uns einfach nicht die Zeit genommen, sicherzustellen, dass wir ein echtes Anti Flag Album schreiben.

Und genau das haben wir jetzt bei „General Strike“ gemacht. Wir haben die Pause-Taste gedrückt, haben uns verkrochen und uns soviel Zeit genommen, wie wir eben brauchten. Und das, was dabei rausgekommen ist, repräsentiert Anti Flag zu 100 Prozent.

 

Haben eure sozialen Engagements, wie z.B. die Occupy Bewegung oder eure Arbeit für Peta, den Ablauf beeinflusst?

Mit Sicherheit. Es hat das Album vor allem inhaltlich beeinflusst. Ihr habt ja gesehen, wie wir von der Occupy Bewegung regelrecht in dern Bann gezogen wurden. Das hat uns die Energie gegeben. Wir wollten sicher gehen, mit unserer Musik wieder echte Statements abzugeben. Da draußen in der Welt geht zurzeit soviel Gutes vor sich, wohin man auch schaut. Wir wollten einfach einen Sound kreieren, der all diese Leute unterstützt. Wir wollten denen zeigen, hier sind vier Jungs aus Pittsburgh, wir haben die Stimme, wir glauben an euch und unterstützen eure Ideen von Menschlichkeit.

 

Das Video zu eurem neuen Song „This is the new sound“ ist ein bisschen irritierend. Man sieht diese lustigen Muppet-artigen Puppen, welche die ganze Band kidnappen und foltern. Gleichzeitig geht es beim Text um die Probleme eines Angestellten, irgendwo in den USA. Wie passt das zusammen?

Das ist eines der Hauptthemen bei „General Strike“. Wir wollten sicherstellen, dass es immer auch eine persönliche Seite gibt. Und die persönliche Seite bei diesem Song ist: Du kannst dir dein Leben zurückholen! Die Welt zu verändern beginnt damit, dich selbst zu ändern. Das war die Idee hinter der Verbindung zum NDAA.

 

NDAA? Das musst du uns kurz erklären.

NDAA steht für „National Defense Authorization Act“. Dieser wurde in der Legislaturperiode von Präsident Obama aufgesetzt und von Obama selbst unterschrieben. Er besagt, dass jeder Bürger der USA (oder sogar der Welt) kann in Einrichtungen wie Guantanamo Bay verfrachtet werden – und das ohne Gerichtsverhandlung. Das widerspricht ganz klar der amerikanischen Verfassung, in der jedem Bürger das Recht auf einen fairen Prozess eingeräumt wird.

Ich will jetzt nicht zu sehr wie ein Verschwörungstheoretiker klingen und sagen, dass solche Dinge in den USA bereits passieren. Aber es ist eine echte Möglichkeit. Und wir dachten, wir rücken die Regierung unseres Landes in ein anderes Licht.

Um das Video jetzt mit dem Song zu verbinden… Als junger Mensch denkt man oft, man, an solchen Gesetzen kann ich doch nichts ändern. Aber es geht auch nicht darum, einen Brief an Barack Obama zu schreiben. Es geht mehr darum, mit offenen Augen und Ohren durchs Leben zu gehen und nicht zu sagen: Naja, ich arbeite bei McDonald’s, mein Leben ist scheiße, wie könnte ich da einen Einfluss auf das haben, was da in der Welt passiert? Warum sollte mich das überhaupt kümmern? Ich glaube, das war für uns die Verbindung zwischen Video und Song. Ja, dein Problem ist ein großes für dich. Aber du musst aus dieser Spirale raustreten und erkennen: In der Welt gibt es viel größere und wichtigere Probleme. Du musst deinem Boss sagen, dass er sich seine homophobischen, rassistischen Sprüche sonst wohin stecken kann. Man darf keine Angst mehr vor solchen Leuten haben.

 

Du hast Präsident Obama angesprochen. Ihr scheint nicht sehr glücklich mit seiner Politik zu sein. In diesem Jahr stehen Wahlen an in den USA. Was denkst du, wer wird das Rennen machen?

Ich hoffe, dass Obama gewinnt. Um ehrlich zu sein, habe ich Angst vor den Kandidaten der Republikaner. Wir sind in den USA einfach nicht in der Situation, dass eine dritte Partei (also weder Rebublikaner, noch Demokraten) die Wahl gewinnen kann. Das ist echt frustrierend. Aber ich bin überzeugt, dass Obama weitaus besser ist als Mitt Romney. Wer auch immer es am Ende sein mag, wird auf jeden Fall eine Menge von uns zu hören bekommen.

 

Du glaubst also nicht, dass sich irgendwas verändern wird?

Nein, glaube ich nicht. Aber ich bin optimistisch, denn Obama sagt oftmals Dinge, die für mich sehr viel Sinn machen und von denen ich denke, dass man sie machen sollte. Aber er hat dann oft das Gegenteil gemacht. Es gibt also sehr viele Diskrepanzen zwischen Gesagtem und dem, was dann passiert. Ich habe aber die Hoffnung, dass er in seiner zweiten Amtszeit realisiert: Hey, ich bin eh bald raus hier – und er dann ein paar wichtige Dinge anschiebt, die er schon lange tun wollte. Bei Clinton war das genauso. Die ersten vier Jahre war er noch sehr vorsichtig, und dann hat er ein paar wirklich gute Sachen durchgedrückt. Es wäre also echt schön, wenn wir da wieder hinkämen – quasi auf die gute Seite von schlecht.

 

Es gibt also noch Hoffnung?

Auf jeden Fall, Hoffnung muss es immer geben. Ich persönlich setze immer Hoffnung in Menschen. Wir spielen heute Abend hier eine Show vor rund 400 Leuten, und wenn wir da nur bei einer Handvoll erreichen können, dass sie über ihren eigenen Tellerrand hinweg schauen, dann ist das super.

 

Ihr seid jetzt seit gut 16 Jahren auf Tour. Was motiviert euch noch, immer und immer wieder in den Bus zu steigen und Shows auf der ganzen Welt zu spielen?

Es ist oft so, dass es uns schwerfällt, unser Zuhause zu verlassen. Wir haben uns dort ein Leben aufgebaut. Aber ich denke, es hat uns ziemlich gut erwischt. Die Leute kommen zu unseren Konzerten, sind immer respektvoll, wir haben keinen Stress. Ich kenne viele Bands und habe viele Freunde in Bands, die einen viel steinigeren Weg gehen mussten. Ich habe viele Bands daran kaputt gehen sehen.

Und jetzt sieht man so viele Bands, wie sie sich wieder zusammenraufenund zurückkommen und plötzlich größer sind als je zuvor. Aber für uns ist sowas kein Thema. Wir können überall auf der Welt auftreten, und die Leute kommen. Wenn mal kein Label unser Album rausbringen will, machen wir es halt selbst. Wenn uns niemand buchen will, dann machen wir auch das selbst. Wir haben uns alles selbst aufgebaut, von Grund auf. Wir sind auf niemanden angewiesen. Wir haben echt Glück, dass uns die Fans treu geblieben sind. Und wir hoffen, dass sie verstehen, dass es uns noch immer echt Spaß macht. Wir fühlen uns jedes Mal aufs Neue geehrt.

 

Welche Bands hörst du privat – wenn es so etwas wie private Momente überhaupt gibt…

Auf der Fahrt hierhin lief Muddy Waters, Ray Charles, das neue Menzingers-Album und das neue Dead to me-Album.

 

Und welches Album ist dein all-time favorite?

Oh man, das ist echt schwer. Vielleicht ist es „Abbey Road“ von den Beatles. Ich glaube, das ist mein absoluter Favorit. Und dann kommt „The Clash“ von The Clash oder „Never mind the bullocks“ von den Sex Pistols. Die sind super. Und dann gibt es da noch eine Dead Kennedys Collection, die ebenfalls spitze ist. Eine von den vier Platten könnte ich mir immer wieder anhören. Es ist quasi ein vierfaches Unentschieden.

 

Danke, Chris #2, für deine Zeit und das tolle Gespräch!