Mit „Working Title“ hat Boysetsfire-Frontmann Nathan Gray gerade erst eines der besten Alben des Jahres hingelegt. Jetzt ist er mit der End Hits Records Tour unterwegs – und machte Halt in Hamburg. Ich war am Start.

Es war mal wieder einer dieser Tage. Auf das Konzert hatte ich mich schon seit Wochen gefreut. End Hits Records Tour 2020. Norbert Buchmacher, Swain, Matze Rossi und natürlich Nathan Gray. Vier Artists an einem Abend, drei davon finde ich richtig gut – was soll da schiefgehen? Und dann muss man morgens zur Arbeit, ist irgendwie mental geschlaucht, geht in die Tiiefgarage, setzt sich ins Auto und fragt sich: Jetzt in den Gruenspan? Ehrlich?

Von Pizza im Gruenspan bis zu Nathan Gray

Und dann denkt man an all das, was einen dort erwarten wird. Gute Musik, jede Menge richtig guter Leute, die man kennt. Und man wollte doch Nathan nochmal persönlich für die warmen Worte danken, die er für die Rezension seines aktuellen Albums gefunden hat. Dann fällt der Blick auf den Rucksack, in dem die Fotokamera liegt und auf ihren Einsatz wartet. Und wie selbstverständlich wird der Schlüssel im Schloss gedreht – los geht’s!

Ich könnte an dieser Stelle den gesamten Abend Revue passieren lassen. Angefangen bei der kleinen, intimen Pop-Up-Show von Matze im Überquell, über Pizza im Gruenspan, schlechte Musik, bessere Musik, noch bessere Musik bis hin zu Nathans Auftritt. Aber ich erspare euch für heute den ganzen Schmonz und beschränke mich auf Letztgenanntes.

Bei Familie bin ich echt nah am Wasser gebaut

Wie ich schon in meiner Review zu „Working Title“ sagte, hat mich Nathans neuer Sound gepackt, am Schlawittchen sozusagen. Mich aufgebaut und aus einer Lethargie geholt, von der ich gar nicht so recht wusste, dass ich drinstecke. Freude da fühlen lassen, wo kurz zuvor noch sowas wie Angst zu finden war. Krasser Scheiß. So ist dann auch meine Erwartungshaltung, was dieses Konzert mit ganzer Band (für einen Solokünstler ja doch eher ungewöhnlich) wohl mit mir machen würde, eine nicht gerade kleine.

Die Stagehand klebt die Setlisten auf die Bühne, ich werfe einen Blick darauf und frage mich: Refrain. Als Opener. Ist das sein Ernst? Ja, ist es. Nathan Gray beginnt seinen Gig mit dem für mich emotionalsten Track des neuen Albums. Schwere Kost, ein Sound, der zumindest mein Herz berührt. Sofort sind die Bilder des offiziellen Videos vor Augen, in dem nicht nur Nathan selbst, sondern auch seine Familie zu sehen ist. Und bei Familie bin ich echt nah am Wasser gebaut.

Lebensfreude ist bei Nathan Gray zu spüren

Aber nicht nur ich, auch Nathan selbst. Der erste (!) Song des Abends ist vorbei, und der Mann tut sich schwer, seine Tränen zurückzuhalten. Ehrliche Tränen, keine Show, das sieht man ihm an – das glaubt man ihm auch. Und dann ist da plötzlich dieser andere Nathan Gray, der die Kurve bekommt, tief durchatmet und mit einem breiten Grinsen den Anwesenden einen guten Abend wünscht.

Lebensfreude ist zu spüren, die man in der Form bei seinen Konzerten – und das gilt meiner Meinung nach auch für die Auftritte mit Boysetsfire – lange nicht vernommen hatte. Ich verfolge BSF und alles, was so drumherum passiert, nun schon eine ganze Weile. Wie lange, wieviele Konzerte? Who knows, who cares. Aber es waren genügend, um mir ein Bild machen zu können – von außen, versteht sich, ohne psychologische Ausbildung.

Eine beachtenswerte Entwicklung

Gray hat in den vergangenen zwei oder drei Jahren eine beachtenswerte Entwicklung hingelegt. Was war das ein düsterer Geselle, als er mit dem Nathan Gray Collective eine „satanistische Messe“ nach der anderen feierte. Ich weiß, das war nicht so, aber weit davon entfernt war es auch nicht. Dann seine Enthüllungen, seine Offenbarungen, sein Drang, alles, aber auch wirklich alles an die Öffentlichkeit zu tragen.

Und jetzt steht er da auf der Bühne im Gruenspan – und hat sichtlich Spaß. Am Leben, an der Musik. Er sprudelt förmlich über vor Energie. „Ist der in einen Jungbrunnen gefallen?“, geht mir die ganze Zeit durch den Kopf. Natürlich stand Nathan bei Boysetsfire nie regungslos herum, das meine ich auch nicht. Aber das hier ist anders. Er springt, hüpft, tanzt, rennt herum, singt, lacht – und weint. Immer wieder an diesem Abend lässt er es raus. Das Düstere, das immer noch in ihm steckt, die schlechten Gefühle und Gedanken.

„You are worthy!“

Er macht allen im Raum Mut mit seiner Show. Er ruft auf, sich gerade zu machen, für die eigenen Bedürfnisse einzustehen. „You are worthy!“ Rassismus, Homophobie, Klimawandel und den ganzen Scheiß, der unsere Welt derzeit kaputtmacht, greift er ganz selbstverständlich auch auf. Nie mit dem erhobenen Lehrerzeigefinger, aber immer eindrücklich.

Am Ende seiner Show macht Gray das, was er schon immer gemacht hat und sicher auch noch lange weiter machen wird. Er verlässt die Bühne und mischt sich unter seine Fans. Lässt sich fotografieren, umarmen, plaudert mit jedem, der was zu erzählen hat. Er hört zu. Wir quatschen auch, ein paar Sätze nur, ich danke ihm für den tollen Abend. Dann verschwindet er, irgendwo in den Weiten des Gruenspans. Das Licht geht an, die Leute gehen nach Hause. Ich packe meine sieben Sachen und mache mich auf den Weg zum Auto.

Als ich den Schlüssel ins Schloss stecke und ihn umdrehe, halte ich kurz inne und fange an breit zu grinsen. Da hätte ich mir doch fast einen wundervollen Abend entgehen lassen. Danke Nathan Gray.

Cheers,
Euer Norman

P.S.: An all die Hater da draußen – call me a „fanboy“, I do not give a shit!