Heute dreht sich in Normans Jukebox nur eine Platte: „Working Title“, das neueste Machwerk von Nathan Gray, dem Frontmann von Boysetsfire. Warum das hier keine normale Rezension ist.

Happy belated release day, bro! Am vergangenen Freitag erblickte das neue Album von Nathan Gray das Licht der Welt – und es kommt mir vor, als wäre ich der allerletzte Mensch, der diese Platte „bespricht“. Gefühlte hundert Rezensionen habe ich gelesen oder zumindest wahrgenommen, und ganz egal aus welcher Ecke dieses Erdballs diese auch kamen, sie alle sprachen letztlich eine Sprache.

„Working Title“ kam zum falschen Zeitpunkt reingeflattert

Und in dieser Sprache war das Feedback zu „Working Title“ eindeutig: Diese Platte ist etwas ganz Großes. Kein großer Scheiß, sondern ganz großes Kino. Und wenn ich ehrlich sein soll, dieses Medienecho hat mich abgeschreckt, mich davon abgehalten, mir die Platte anzuhören. Das Bemusterungsexemplar wurde mir lange vor dem offiziellen Veröffentlichungsdatum zugespielt (Danke an dieser Stelle wie so oft an die Schnuffis von Uncle M!).

Und trotzdem habe ich mich nicht rangewagt. Warum? Das ist eine verdammt gute Frage, auf die es gar keine einfache Antwort gibt. Vielleicht kam die Platte zum falschen Zeitpunkt bei mir reingeflattert. Ich hatte 2019 kein leichtes Jahr. Arbeitslosigkeit, Verlustängste, Zukunftsängste, Wiedereinstieg, Neuanfang, Familienplanung, doppeltes Glück… es war eine Achterbahnfahrt, und der Ausstieg ist noch nicht in Sicht.

Nathan Gray und ich: eine lange Geschichte

Und dann kommen da immer wieder neue Alben rein, die alle gehört und besprochen werden wollen. Ich hatte aber weder Zeit noch Muße dafür, was mich tatsächlich traurig macht. Denn Musik… ich liebe Musik. Punkt. Eigentlich ganz einfach. Aber ich brauche Ruhe, um mich so richtig fallen lassen zu können, eine neue Scheibe in all ihren Facetten aufzunehmen. Und genau das war mir wichtig, um Nathan Gray gerecht zu werden.

Ich kenne Mr. Gray nun schon eine ganze Weile, war auf unzähligen Konzerten von BSF, auch ihn Solo habe ich mehr als nur einmal live gesehen. Auf meinen diversen Festplatten sind hunderte Fotos von ihm, die ich meiner Funktion als Konzertfotograf gemacht habe. Zusammen mit einem meiner besten Freunde bin ich BSF eine Woche lang durch Großbritannien gefolgt, habe Interviews und Fotos gemacht und jede Sekunde genossen.

Die dunklen Töne sind wie weggewischt

Wann auch immer wir uns getroffen haben, hatte ich bei Nathan ein Gefühl von Freundschaft. Eine zwar oberflächliche, klar, aber auch ehrliche Freundschaft. Jetzt ist da dieses neue Soloalbum, von dem alle Welt nur in höchsten Tönen spricht. Und ich bin gelähmt, schaffe es nicht einmal, es mir anzuhören. Gestern Abend war mir das alles dann einfach zu dumm. Ich habe die Anlage angeworfen, Spotify gestartet (ja, ICH LIEBE STREAMING!!!) – und schon beim ersten Song lief die erste Träne meine Wange hinab.

Wie weggewischt sind die dunklen Töne, die Nathan damals mit seinem „Nathan Gray Collective“ anstimmte. „Feral Hymns“ war dann rein musikalisch schon deutlich lebendiger, wenn auch immer noch mit einem deutlich düsteren Unterton. Ein gutes Album, überhaupt keine Frage, aber in seiner Gesamtheit keine Platte, die ich mir immer und immer wieder anhören kann. Und plötzlich ist da dieser lebensbejahende Nathan Gray, der mit einer unglaublichen Leichtigkeit und Ehrlichkeit „In My Defense“ anstimmt. „I’m a work in progress – indefinitely“ – ein Satz, der Nathans Leben und seinen Werdegang wahrscheinlich perfekt zusammenfasst.

Offenheit und Ehrlichkeit kommen nicht immer gut an

Er hat viel durchgemacht in seinem Leben, das hat er in den vergangenen Jahren allen, die es wissen wollten – und auch allen anderen – erzählt. Der eine oder andere war von Nathans offensiver Offenheit genervt. Es ist ja nunmal leider so, dass in der heutigen Instagram- und Facebookwelt nur gute Dinge passieren dürfen. Das Wetter ist immer schön, die Frisur sitzt, der Körper ist „in shape“, die Laune ist stets gut. Ein vermeintlicher „Miesepeter“, der von Depression, Missbrauch und sonstigen Einschnitten im Leben spricht, kommt da nur mäßig an.

Und jetzt ist alles anders. Nathan hat sein Leben in den Griff bekommen, wie es scheint. Mit „Working Title“ feiert er seinen ganz persönlichen Erfolg, seinen harten Weg aus all dem Chaos. Und das ist auch gut so und richtig. Nein, rein textlich ist dieses Album auch kein „Bienchen und Blümchen überall“ Szenario. Es ist eine positive Ansage, eine Abrechnung mit den Geistern der Vergangenheit, ein Blick nach vorn und nicht zurück – aber immer auch eine Warnung an sich selbst: „I’m just a working title that’s for sure, but I ain’t giving up till I’m much more.“

Nathan Gray ist noch lange nicht am Ende angekommen

Er hat schon einen langen Weg hinter sich, ist aber noch lange nicht am Ende angekommen. Da ist sie wieder, die entwaffnende Ehrlichkeit des Nathan G.. Und dieses Mal schmeckt sie auch allen, denn sie sorgt für ein wohliges Gefühl. Man möchte ihm auf die Schulter klopfen und sagen „gut gemacht“. Willkommen in der zuckersüßen Instagram- und Facebookwelt.

Aber da gehört Nathan Gray noch immer nicht hin. Er wird auch weiterhin der Querdenker bleiben, der er nunmal ist. Er wird weiter seine Meinung sagen – mal laut, mal leise, aber immer ehrlich und frei raus. Mir gefällt’s auf jeden Fall.

Die Traurigkeit ist gewichen – auf 2020!

Ich bin froh, dass ich „Working Title“ doch noch aufgelegt habe (ja, aufgelegt, auch wenn nur im Stream!). Aus der ersten Träne beim Opener wurden beim Schreiben dieser Zeilen dann doch noch ein paar mehr. Die Traurigkeit ist aber gewichen, der Tag kann jetzt kommen. Und das Jahr 2020 mit all seinen Höhen und Tiefen auch. Danke, Nathan!

Cheers,
Euer Norman

END HITS RECORDS TOUR 2020
NATHAN GRAY & BAND
+ Special Guests
14.02. DE – Berlin @ Columbia Theater
15.02. DE – Münster @ Sputnikhalle
16.02. DE – Köln @ Kantine
17.02. DE – Frankfurt @ Batschkapp
18.02. DE – Hamburg @ Gruenspan
19.02. DE – Leipzig @ Conne Island
20.02. DE – Nürnberg @ Hirsch
21.02. AT – Wien @ Szene
22.02. DE – München @ Backstage
23.02. CH – Zürich @ Papiersaal
24.02. DE – Stuttgart @ Wizemann
25.02. DE – Saarbrücken @ Garage