Chandler Barnes

Chandler Barnes

Er war an der Spitze angekommen. In Sachen Piercing und BodyMod machte ihm niemand mehr etwas vor. „I was on top of the game“, sagt Chandler Barnes über seine einst gelebte und geliebte Karriere als Piercer. Und dann machte er Schluss, einfach so – und begann noch einmal ganz von vorn.

Es ist arschkalt in Berlin, als ich mich mit Chandler treffe. Im bekannten Studio „Für immer“ hatte für den gebürtigen US-Amerikaner einst alles angefangen. 1999 kam er erstmals nach Deutschland – und landete schließlich auf Umwegen im Laden von Fide und Jan. Der damalige Piercer war unzuverlässig, und so bekam Chandler die Chance zu zeigen, was er draufhat. Und er nutzte sie.

Er lernte alles, was es rund ums Piercen zu lernen gab. Lange Jahre war er schließlich die Nummer eins, bei ihm wusste man sich stets in guten, erfahrenen Händen. Chandler liebte seine Arbeit. Doch irgendwann veränderte sich die Szene. Piercings waren plötzlich Massenware, quasi Modeschmuck. Und der muss für gewöhnlich billig sein. „Die Leute kamen in den Laden und wollten ein Piercing für 20 Euro – inklusive Schmuck“, erzählt Chandler bei einer Flasche Afri Cola. „Das ging irgendwann nicht mehr. Wenn ich alle meine laufenden Kosten abziehe, bleiben mir dann vielleicht noch 5 Euro übrig. Und davon kann ich nicht leben.“

„Komm schon, das ist doch nur ein Piercing“

Viele Kunden sahen einfach nicht, dass Piercen ein echtes Handwerk und eine wahre Kunst ist. „Sie sagten immer: Ach, komm schon, das ist doch nur ein Piercing. Oder schlimmer noch: du bist doch nur ein Piercer.“ Chandler steckte also fest. Doch was tun?

„Du musst heute große BodyMods machen, um weiterzukommen“, erklärt mir der charismatische Typ mit der auffälligen Tätowierung im Gesicht. Also Zungen spalten, Implantate setzen, Scarifications, solche Dinge. „Aber diese Verantwortung wollte ich nicht übernehmen. Das sind immerhin chirurgische Eingriffe.“

„Sein Anwalt wird immer besser sein als deiner“

Und bei denen kann immer mal etwas schiefgehen. „Da kriegt man dich schnell wegen Körperverletzung dran. Wenn du einen Kunden hast, dem du die Zunge spaltest und der dann – warum auch immer – auf der Liege fast verblutet oder kollabiert… da kannst du vorher noch so viele Absprachen getroffen haben. Sein Anwalt wird immer besser sein als deiner.“

In dieser Sackgasse angekommen zog Chandler dann die Notbremse. Im Alter von 30 Jahren stellte er sein Leben auf den Kopf: Schluss mit Piercings, Schluss mit BodyMods. Der Mann aus Virginia griff zur Tattoo-Maschine. Und hat damit scheinbar genau das gefunden, was ihn rundum glücklich macht.

„Das beste Tattoo machen, das ich machen kann“

„Ich lerne jeden Tag dazu“, sagt er mit einem Leuchten in den Augen. „Es geht jeden Tag einen Schritt weiter.“ Auf einen bestimmten Stil möchte er sich noch nicht festlegen. „Ich mag Cartoons, Dotwork, Fotorealistisches… ich bin da offen für Vieles.“ Ein Ziel hat er aber trotzdem vor Augen: „Ich will das beste Tattoo machen, das ich machen kann – und das am liebsten für die nächsten 20 Jahre.“

Grüße,

Euer Norman