Lagwagon auf dem Nova Rock 2015 (Foto by Milena Zivkovic)

Lagwagon auf dem Nova Rock 2015 (Foto by Milena Zivkovic)

Ihre Alben liefen während unser aller Teenager-Zeit ständig auf und ab. Nach 25-Jahren Bandbestehen zeigen sie kein bisschen Müdigkeit, sondern geben Vollgas auf der Bühne. Das sind „LAGWAGON“ – eine Punkband aus dem schönen Kalifornien. Auf dem diesjährigen Nova Rock unterhielt sich unsere Kinga mit Frontmann Joey Cape über das aktuelle und langersehnte Album „Hang“, die Idee hinter dem Artwork und Titel, sein Homestudio, Tony Sly uvm..

Ganz ehrlich: Ich hätte mir mehr Gesprächszeit mit Mr. Cape gewünscht. Der Mensch hat einiges zu erzählen. So viel Punkrock, Erfahrung, Weisheit und vor allem Humor in einer Person.

„You are back on the waggon with Lagwagon, Mr. Cape. I’m so glad to see you again.“ – Das war meine Begrüßung… und schon ging es los…

Reportink: Es gibt Bands, die jährlich ein Album rausbringen. Ihr habt neun Jahre gebraucht, euer aktuelles Album „Hang“ rauszubringen. Es ist wirklich ein Meisterstück. Aber warum hat es so lange gedauert?
Joey Cape: Ich weiß nicht, aber wir beeilen uns nicht damit, Alben rauszubringen. Wir erzwingen es nicht. Wenn wir uns nicht danach fühlen, ein Album rauszubringen, das wir mögen, warten wir lieber ab. Das ist auch gut so. Es gibt eine Menge Musik da draußen. Und vielleicht bringen Bands schneller Alben raus, weil sie glauben, diese rasch rausbringen zu müssen. Wenn Musiker länger warten und härter daran arbeiten würden, wäre die Welt ein besserer Ort mit deutlich besserer Musik. Ich will jetzt keine Ratschläge geben und Geschmäcker sind zum Glück verschieden. Wir sind jedenfalls sehr zufrieden mit unserem Album „Hang“ und lieben es, die Songs live zu spielen.

Die Entwicklung während eines 25-jährigen Bandbestehens ist enorm. Diese ist definitiv auf eurem neuen Album hörbar. Ihr wurdet erwachsen. Kannst du dem zustimmen?
Joey Cape: 
Ja. Es hört sich an wie eine Evolution, wenn ich meine Band höre. Ich höre es in der Musik und „Hang“ ist anspruchsvoller, als die anderen Alben. Aber weißt du, es ist komisch seine eigene Musik zu analysieren. Ich versuchte es zwar, aber es funktioniert nicht. Keine Ahnung was zum Teufel wir da machen. Aber wir machen Musik (lacht). Es kommt einfach raus und wir sind sehr zufrieden damit.

„Es ist meine Perspektive der Welt“

Das Artwork und der Albumtitel sind sehr ausdrucksstark. Ihr habt u.a. einen Strick und Bienen abgebildet. Warum? Und was steckt hinter dem Titel?
Joey Cape: 
Ich hatte die Idee ein Konzeptalbum zu schreiben. Ich weiß nicht, ob man es so nennen kann. Es ist meine Perspektive der Welt, in der meine Tochter aufwächst. Das ist was ich damit sagen will. Es ist ein zorniges Album. Eine Art Reaktion auf die heutige Welt.

Eines Tages hatte ich das Bild im Kopf und dachte, es wäre ein starkes Cover. Eine Art Verlust, den sich die Menschheit selbst antut. Und ich wählte die Pflanzen, weil in jeder Geschichte die Idee, ein Land ohne Menschheit, vorkommt. Ich wollte auch unbedingt, dass das Foto in Montana geschossen wird, weil es einer der wenigsten besiedelten Staaten in Amerika ist. Die Landschaft dort ist wunderschön. Und die Bienen sind gefährdet – vom Aussterben bedroht. Wir sind dafür verantwortlich und ohne sie können wir eigentlich nicht leben. Das Bild demonstriert eine Art Selbstmord und Mord, wenn wir so weiter machen, wie bisher. Ich dachte wirklich, dass es ein nettes Bild sei, aber in Wirklichkeit kein nettes Bild ist (lacht). Ich fragte eine Freundin, eine gute Fotografin, ob sie dieses Bild schießen würde. Drei Tage später bekam ich das Foto. Es wurde auch nicht bearbeitet. Alles Rohmaterial.

Bezüglich des Titels „Hang“: Ich fing an Texte für das Album zu schreiben. Und ich fing an verschiedene Bedeutungen für dieses Wort zu benützen. Es ist ein starkes Wort und hat viele Nebenbedeutungen. Das Eindeutige ist, dass du dich selbst umbringst – einen Selbstmord begehst. Ich benutzte auch oft das Wort ‚empathy‘. Wir können ohne Empathie nicht überleben. Aber sie stirbt langsam aus und die Menschheit ist wenig mitfühlend und wird narzisstischer. Dieses Album beinhaltet so viele Themen. Das Wort „Hang“ ist so mächtig und passt einfach. Lagwagon hat viele Alben, deren Titel nur aus einem Wort bestehen.

Lagwagon auf dem Nova Rock 2015 (Foto by Milena Zivkovic)

Lagwagon auf dem Nova Rock 2015 (Foto by Milena Zivkovic)

Es gibt einen Song auf diesem Album, den du für deinen geliebten Freund Tony Sly geschrieben hast, der bedauerlicherweise viel zu früh von uns gegangen ist. Magst du mir vielleicht mehr darüber erzählen?
Joey Cape: 
Ja, absolut. Tony hatte einen Song auf seinem Akustikalbum „Sad Bear“, der hieß „Liver Let Die“. Am Ende dieses Songs war dieser Gesang „One more song“. Eigentlich wollte ich gar keinen Song für Tony schreiben. Keine Worte und Musik dieser Welt könnten je das ausdrücken, was ich fühle – was unsere Freundschaft ausmachte.

Als ich die Texte für das Album schrieb, kam mir eines Tages die Melodie in den Kopf und ich bekam die Phrase ‚one more song‘ nicht mehr aus meinem Gedächtnis. Es schwirren oft Texte in meinem Kopf, die nichts bedeuten, aber in diesem Fall war es so eindeutig. Ich versuchte über andere Dinge zu schreiben und es ging nicht. Es musste ein Song für Tony sein. Und so geschah es auch. Wir spielen ihn nicht live. Es ist zu schmerzhaft.

„Jeder Song muss durch gewisse Elemente durch“

Das kann ich absolut verstehen… Joey, was ist für dich das wichtigste während einer Albumproduktion?
Joey Cape: 
Definitiv die Seele der Songs. Jeder Song muss durch gewisse Elemente durch. Die Geschwindigkeit, wie er gespielt und beeinflusst wird, das Gefühl – all diese Sachen sind ein Teil davon. Es ist schwer zu erklären. Wenn ich jemanden produziere, ist das, was mir am meisten Sorgen macht, die Seele des Songs rüberzubringen. Ich möchte die Gitarren richtig gestimmt haben. Ich möchte, dass die Drummer laut spielen. Ich möchte, dass die Sänger gut singen. Alle sollen ihren Job gut machen. Die Chemie muss einfach stimmen. Sei es die Drums, die Gitarren, der Gesang – alle Elemente sind wichtig. Das sollte man nicht aus den Augen verlieren. Mir passierte das einst. Ich schrieb einen Song und glaubte, er sei gut. Als er dann fertig war, war er einfach nur scheiße. Verloren. Ich habe zu viel Aufmerksamkeit auf den Gitarrenklang gelegt, was eigentlich egal ist. Es gibt viele schrecklich geschriebene Songs, die jedoch eine großartige Seele haben.

Du erwähntest „wenn ich jemanden produziere“… Du hast dein eigenes Label „One-week-records“ – dein Homestudio in San Francisco. Der Name klingt vielversprechend. Was unterscheidet dein Label von anderen?
Joey Cape: 
Es ist ein Session-Label. Andere Labels veröffentlichen CDs und haben längere Recording-Sessions. Wir machen das in einer Woche. Ich nehme auch keine Musiker unter Vertrag. Es gibt einen Vertrag, der nur für die Musiker ist, nicht für mich. Ich habe auch keine Optionen, wie z.B. für mehrere Alben zu unterschreiben. Aber ich denke, dass die meisten Labels das heutzutage nicht mehr machen, weil die Musikindustrie schon so verrückt ist. Es ist mehr die Idee einer BBC-Session. In anderen Worten: Musiker kommen zu mir und können kreativ sein. Sie machen, was sie wollen. Es ist die Idee, die Songs im Rohzustand zu belassen. Eine kreative Situation. Ich habe kein „Autotune“ und „tune“ auch keine Vocals. Ich habe und brauche Leute, die ihre Sache gut machen.

Lagwagon auf dem Nova Rock 2015 (Foto by Milena Zivkovic)

Lagwagon auf dem Nova Rock 2015 (Foto by Milena Zivkovic)

Du hast auch Chris Cresswell von den Flatliners aufgenommen…
Joey Cape: Ja, dieser Mensch ist so gut. Es war nur ein Take. Wir haben keinen weiteren gebraucht. Es war perfekt. Es gibt so einige, die gut sind und eine gute Stimmlage haben.

In den letzten 15 Jahren hat sich einiges geändert. Menschen wurden abhängiger und nehmen in der digitalen Welt sehr viel Gebrauch von Tools zum Bearbeiten. Ich könnte irgendwen ins Studio holen, ihn oder sie singen lassen und es so lange bearbeiten, bis es sich gut anhört. Und auch so weit bearbeiten, als würde man es nicht merken, dass es bearbeitet ist. Das ist ziemlich einfach. Du kannst so viel hinzufügen, bis du deinen „perfekten“ Song hast.

„‚One-week-records‘ hat 120 Stunden für ein Album“

Aber das ist nicht wirklich das „Wahre“. Ziemlich künstlich…
Joey Cape: Ja, du verlierst einfach was. Insbesondere, wenn du ein Drum-Set hinzufügst, das mit dem Rhythmus deines Drummers übereinstimmen soll und du anschließend Samples drüber spielst, damit es sich besser anhört. Ich habe Dave Grohl’s Kick und Snare im Studio. Ich könnte alles nutzen. Das mag schon cool sein, aber dann hörst du es dir an und weißt, dass es nicht das ist, was du eigentlich aufgenommen hast.

Es ist eine wirklich nette Sache, eine zeitliche Frist zu haben. „One-week-records“ hat 120h für ein Album. Ich schlafe drei Stunden pro Nacht. Es endet mit Whiskey und fängt mit einem Kaffee an und dann geht es weiter (lacht). Wir haben eine Menge Spaß dabei. Die Zeit und die Werkzeuge sind begrenzt und es kommt ein „wahres“ Werk heraus.

Natürlich und roh…
Joey Cape: 
Genau. Es ist genauso so, wie sich die Leute anhören. Das einzige was wir kontrollieren müssen, ist die Instrumentation – die Besetzung.

Joey, wann bekommen wir was Neues von Seiten deines Solo-Projektes zu hören?
Joey Cape: Im September… Ich habe das Album vor kurzem fertig gebracht.

Super. Da sind wir auf jeden Fall mal gespannt drauf. Und zum Abschluss noch dein letztes Wort…
Joey Cape: Oh Mann, das letzte Wort. Es ist so kitschig, etwas Seriöses zu sagen. Ich sage: Kaffee (lacht). Das ist das, was ich brauche. Oder nein warte mal. Mein letztes Wort ist „SEE“. Das Nova Rock braucht einen See.

Interview by Kinga Dula
Photos by Milena Zivkovic

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