Es ist die grandiose Wiedergeburt einer angestaubten Legende. Mit ihrem neuen Album „All or Nothing“ haben Pennywise all jenen einen Schlag in die Fresse verpasst, die den Punkrockern aus Hermosa Beach nach dem überraschenden Weggang ihres Sängers und Bandgründers Jim Lindbergh den schnellen Tod prophezeit hatten.

Auf dem Greenfield Festival in der Schweiz haben Gitarrist Fletcher Dragge und Zoli Téglás, der neue Sänger der Band, Norman und mir Rede und Antwort gestanden – und uns ganz nebenbei einen interessanten Einblick in die Gefühlswelt der Band und ihre gewöhnungsbedürftigen Umgangsformen gewährt.

Julian: Vor ein paar Wochen kam euer neues Album „All Or Nothing“ raus, aber vorher hat sich einiges getan bei Pennywise. Wie hast du den Weggang von Jim erlebt, Fletcher?

Fletcher: Wir haben erstmal eine große Party gefeiert. Zoli kam dazu und dann haben wir die ganze Nacht am Lagerfeuer gesessen, gesungen, geklatscht und getanzt.

 

Im Ernst: Keine Gedanken ans Aufhören?

Fletcher: Nein, wir wussten auch schon bevor Jim ausgestiegen ist, dass es auf jeden Fall weitergeht. Jim hat schon seit Jahren immer wieder vom Aufhören geprochen.

 

Warum?

Fletcher: Kann ich nicht genau sagen. Er war einfach mit vielen Sachen nicht mehr einverstanden. An einem Abend hat er uns dann plötzlich gesagt, dass er nicht mehr auf Tour gehen wollte, dass ihm das alles zu viel sei. Er wusste ja, dass Zoli einspringen würde. Dann hat er uns noch viel Glück gewünscht und war weg.

Und wie ging es dann weiter?

Fletcher: Naja, wir haben verschiedene Leute ausprobiert, aber am Ende haben wir uns dann doch für das Arschloch entschieden, das neben mir sitzt (lacht).

 

Da die Sprache schon auf dich kommt, Zoli: Du bist der neue Mann bei Pennywise. Wie fühlt es sich an, jetzt Teil einer Punkrock-Legende zu sein?

Zoli: Es ist wirklich eine große Ehre, in dieser Band zu singen…

 

Fletcher: Sag doch sowas nicht!

 

Zoli: Doch, ich meine es ernst. Pennywise gibts einfach schon so lange, und überall wo wir hinkommen, sind die Leute total aus dem Häuschen, wenn sie uns sehen. Ich liebe es einfach, auf Tour zu sein und Pennywise hat Fans auf der ganzen Welt. Das ist einfach großartig, ich bin wirklich glücklich, in der Band zu sein.

 

Fletcher: Und wir sind wirklich unglücklich, dass du in der Band bist.

 

Die Chemie zwischen euch scheint ja zu stimmen. Ist das immer so?

Zoli: Ja, Fletcher ist böse. Er ist wie ein böser Stiefvater für mich.

Klingt nach einer Menge Spaß. Aber zurück zum Wesentlichen: Nachdem Jim die Band verlassen hat, haben viele gesagt ‚Pennywise ohne Jim funktioniert nicht‘. Was sagt ihr dazu?

Fletcher: Ich glaube mit „All or Nothing“ haben wir diesen Leuten das Maul gestopft.

 

Trotzdem heißt das Album „All or Nothing“, Alles oder Nichts. War das auch so eine Art Überschrift für die Situation, in der die Band sich während den Aufnahmen befunden hat? Mal angenommen, das Album wäre geflopt…

Fletcher: Ja, dann wären wir vielleicht nicht mehr hier. Und tatsächlich wurde der Song „All or Nothing“ zum inoffiziellen Motto für die Band. Eigentlich geht’s darin um Regierungsgeschäfte, Banken und große Konzerne, die sich langsam die Weltherrschaft erschleichen und die Menschen zu Robotern degradieren. Dagegen müssen wir kämpfen. Aber irgendwie hat er auch zu unserer Situation gepasst.

 

Kannst du das näher erklären?

Fletcher: Auch wir als Band waren an einem Punkt, an dem wir wussten, dass wir ums Überleben kämpfen. Uns war klar, dass wir ein verdammt gutes Album abliefern müssen, von dem die Fans sagen ‚Ok, Jim ist nicht mehr dabei, aber das ist einfach gutes Zeug‘.

 

Zoli: Uns war klar: Entweder machen wir ein gutes Album, oder wir können einpacken.

 

Hat Jim das Album schon gehört?

Zoli: Ich muss eins mal klarstellen. Jim ist ein netter Kerl, ein toller Songwriter und so weiter, aber ich habe keine Lust, die ganze Zeit über Jim zu reden. Er hat Pennywise verlassen, warum auch immer, und ist deswegen auch nicht hier.

 

Fletcher: Ich hab nur gehört, dass Jim über den Song „Let us hear your voice“ gesagt hat, er würde wie „Justin-Bieber-Punkrock“ klingen. Also gehe ich mal davon aus, dass er das Album nicht mag. Aber das ist nicht das Problem. Jim hat uns gesagt, dass er kürzer treten und sich mehr Zeit für die Familie nehmen wolle. Aber einen Tag nachdem er Pennywise verlassen hat, war er schon mit seiner neuen Band „The Black Pacific“ auf Tour, das hat uns ziemlich getroffen. Aber das kann uns jetzt egal sein. Wir haben ein fantastisches Album hingelegt, Und das weiß auch Jim. Er braucht ja nur die ganzen Kritiken zu lesen. Das ist für ihn sicher schwer zu verkraften. Ich glaube, Jim dachte, dass wir es ohne ihn nicht schaffen.

Als ich das erste mal in „All or Nothing“ reingehört habe, dachte ich ‚Wow, Pennywise ist fast 25 Jahre alt, sie haben einen neuen Sänger und klingen trotzdem so wie zu ihren Anfangszeiten‘. Wie passt das zusammen?

Zoli: Wir haben uns ganz genau überlegt, wie das neue Album klingen soll und uns war nach den ersten Songentwürfen und Sessions schnell klar, dass wir an den harten, schnellen Sound von früher anknüpfen wollen. Es steckt einfach jede Menge Energie in der Band. Im Studio haben wir uns ständig gestritten und aufs Übelste beleidigt und sind dann Abends ein Bier trinken gegangen. Da kam viel zusammen: Frustration, Angst, Unsicherheit. Aber genau dieses Feuer hat Pennywise gebraucht, um wieder den Old-School-Sound abzuliefern.

 

Fletcher: In den letzten Jahren war es so, dass Jim immer mehr als die Hälfte der Songs auf den Alben geschrieben hat. Und das ganze schnelle Zeug, dass ich reingebracht habe, hat ihm nicht gefallen. Er hat sich sogar geweigert, Texte dafür zu schreiben und gesagt, ich solle den Kram doch an eine Hardcore-Band verkaufen. Er ist mit seiner zunehmend tieferen Stimme mehr in die softe Richtung gegangen. Da konnten und wollten wir ihm irgendwann nicht mehr folgen. Reine Stagnation.


Und mit Zoli ist alles anders?

Fletcher: Zoli hat eine hohe, aggressive Stimme. Er klingt fast wie der junge Jim. Mit Zoli konnten wir endlich wieder härtere und schnellere Sachen machen. Trotzdem hasse ich seine Texte und er ist ein Idiot.

 

Zoli: Das sagt er den ganzen Tag zu mir und die Tage auf Tour sind ziemlich lang.

 

Fletcher: Zu mir sagt er, meine Texte wären scheiße. Aber im Studio hat er sein Maul nicht aufgemacht.

 

Zoli: Ja ja, ist klar. Wie war das? (äfft Fletcher nach) ‚Das hab ich geschrieben, also bleibt es so, wie es ist‘. Blablabla…

 

Fletcher: Egal. Das Ding ist einfach: Wir haben zu viert diskutiert, haben uns gestritten und haben somit das Album nach vorne gebracht. Das war mit Jim am Ende alles eingeschlafen.

 

Zoli: Ich will nicht mehr über Jim reden.

 

Dann lass uns über deine Doppelbelastung sprechen. Du bist auch immer noch mit „Ignite“ auf Tour…

Zoli: Ja, nach der Pennywise-Tour bin ich wieder mit den Jungs unterwegs.

 

Klingt nach harter Arbeit…

Zoli: Das ist schon anstrengend, vor allem, weil ich mir den Rücken kaputt gemacht habe. Ich hab mich zuhause verhoben. Wir haben halt nicht mehr 1994. Aber ich will mich nicht beschweren, denn ich liebe das, was ich mache, über alles. Auf Tour sein ist mein Leben.

Dann wünsche ich noch viel Spaß für die kommenden Gigs und bedanke mich sehr für das aufschlussreiche und unterhaltsame Interview.