Theoretisch könnten wir beim Thema Bodymod beim Urschleim anfangen zu erzählen. Von Naturvölkern und Stämmen, von Ureinwohnern und Kriegern. Natürlich sind viele Formen der mehr oder weniger permanenten Veränderung des Körpers auf traditionelle Rituale zurückzuführen, keine Frage.
Da wir aber nicht der Brockhaus sind, sondern Reportink, fassen wir kurz und knackig zusammen, was ihr dazu wissen müsst.
Der Wunsch, den eigenen Körper zu verändern, besteht also seit Menschengedenken. In der heutigen Zeit fängt es bei den Meisten mit Ohrlöchern an, danach ein Piercing hier, ein Tattoo da. Doch es gibt mehr als genug Leute, die einfach mehr wollen, nach neuen Erfahrungen suchen um ihre Grenzen auszutesten, aus ästhetischen Gründen oder um vielleicht ihrem Fetisch nachzugehen. Die Gründe sind so individuell wie die Formen der Modification – und die Menschen selbst.
Zu diesem Thema habe ich Rolf Buchholz ein paar Fragen stellen dürfen. Er selbst trägt 453 Piercings und steht damit im Guinness-Buch der Rekorde, ist vom Scheitel bis zur Sohle tätowiert, und eines seiner Hobbies sind sogenannte Suspensions. Dabei wird er an durch die Haut gezogenen Haken aufgehangen – und kann so einfach mal die Seele baumeln lassen.
VICKY:
Hallo Rolf, wann bekamst du dein erstes Piercing und wohin?
ROLF:
Mein erstes Piercing und Tattoo bekam ich auf der Tattoo Convention in Berlin 1999. Es war ein Brustwarzenpiercing, gestochen hat es Micha vom „Nightliner“.
VICKY:
Gab es einen bestimmten Punkt, an dem du dir vorgenommen hast, das Piercen flächendeckend zu betreiben? Oder kam einfach immer wieder eins mehr dazu?
ROLF:
Ende 1999 bin ich das erste Mal im „Deep Metal“ in Dortmund gewesen. Dort sind dann weitere Piercings entstanden. Am Anfang nur wenige, dann gab es Jahre, wo sehr viele dazu kamen. Und in letzter Zeit hat es wieder etwas abgenommen. Geplant war es nicht, eher so Stück für Stück. Da das „Deep Metal“ direkt bei mir um die Ecke liegt und die Leute dort super nett sind, bin ich auch gern immer wieder hingegangen. Das tu ich heute noch, auch ohne mich piercen zu lassen.
VICKY:
Bodymodification wird aus vielen unterschiedlichen Gründen betrieben. Würdest du sagen auch aus psychischen Aspekten?
ROLF:
Es gibt bestimmt Leute, die es aus psychischen Gründen machen. Wie du schon sagst, es gibt viele individuelle Gründe. Bei mir war es einfach Spaß und weil ich es gut finde. Ich wurde oft gefragt, warum ich damit angefangen habe… aber ich habe nie eine Antwort auf diese Frage gefunden.
VICKY:
In der BILD Zeitung galt es zu raten, welchen Beruf du ausübst. Du bist Informatiker bei der Telekom. Hattest du beim Vorstellungsgespräch schon deinen heutigen Look?
ROLF:
Nein, ich hatte beim Vorstellungsgespräch noch keine Tattoos oder Piercings. Ich würde heute auch keinen anderen Job mehr finden. Es wär aber auch ohne Tattoos und Piercings für mich schwer, einen anderen Job zu finden. Wer stellt denn heute noch jemanden über 50 ein?
VICKY:
Das ist wohl wahr! In einer Menschenmasse bist du ein absoluter Eyecatcher, erfahrungsgemäß eher positiv oder eher negativ?
ROLF:
Die Erfahrungen sind positiv. Natürlich schauen alle Leute. Ich achte meistens nicht darauf. Die typischen Reaktionen sind die folgenden Fragen:
– Wie viele sind das?
– Tut das nicht weh?
Dann gibt es noch sehr viele Leute, die nach einem Foto fragen. Dass aber jemand offen etwas Negatives sagt, kommt sehr, sehr selten vor.
VICKY:
Wünschst du dir diesbezüglich mehr Toleranz in unserer Gesellschaft?
ROLF:
Ja, ich wünsche mir mehr Toleranz in unserer Gesellschaft. Das betrifft aber nicht nur Tattoos und Piercings. Mit etwas mehr Toleranz wäre das Zusammenleben viel einfacher.
Wenn jemand meint meine Piercings sind Kunst, dann ist es positiv. Wenn es nur Piercings sind, dann sehen es viele anders. Wo ist hier eigentlich der Unterschied?
VICKY:
Allerdings, diese Frage stelle ich mir auch oft. Du bist nicht nur ein leidenschaftlicher Schmuck-Sammler, bist tätowiert und hast Implantate, sondern bist auch ein Freund von Body Suspension. Wie kam es dazu?
ROLF:
Der erste Kontakt zu Body Suspension war 2003 auf der Tattoo Convention in Malmö. Hier machten Håvve Fjell, Lukas Zpira und Muffe Suspension.
Ein Jahr später, am 11.September 2004 machte ich meine erste Suspension-Erfahrung. Diese führte damals Andrea („Deep Metal“) in Köln durch. Die sogenannte „Superman-Suspension“.
Damals war es nicht so einfach Leute zu finden, die Suspension machen. Es hat dann fast neun Monate gedauert, bis ich die nächste gemacht habe, auf dem „Swiss Bodymod Meeting“. Mit der Zeit habe ich dann immer mehr Leute getroffen. So bin ich dann zu immer mehr Events gefahren.
VICKY:
Welches Gefühl erlebst du dabei?
ROLF:
Ich mache es für mich. Nur ganz selten habe ich Suspension für Zuschauer gemacht. Was ich dabei erlebe… hier eine Antwort in einem Satz: Es macht mir Spaß und ich fühle mich nachher besser.
Eine Suspension besteht aus verschiedenen Phasen. Das Piercen und das in die Luft gehen mag ich nicht so, aber ohne dieses würde auch was fehlen. Am besten ist das Hängen. Am liebsten mag ich die statischen Suspensions. Mein Favorit ist die „Coma-Suspension“.
VICKY:
Welche Pläne stehen in Sachen Bodymod noch bei dir an? Was möchtest du unbedingt austesten?
ROLF:
Ich habe hier keine konkreten Pläne. Ich habe in der Vergangenheit auch nie weit in die Zukunft geplant. Mit der Zeit verschieben sich auch die Grenzen. Da mach ich eine Suspension, wo ich meine sie wäre sehr schwierig und sie funktioniert. Irgendwann probiere ich dann was noch Schwierigeres aus.
Hier ein Beispiel: Ich habe die „Coma-Suspension“ immer mit 10 Haken gemacht. Letztes Jahr habe ich sie dann erst mit 8 Haken, dann mit 6 Haken und zum Schluss nur mit 5 Haken gemacht. Hätte man mich vor drei Jahren gefragt, ob ich es nur mit 5 könnte, hätte ich Nein gesagt.
VICKY:
Also wächst man immer wieder ein Stück über sich hinaus. Wo stößt du denn an deine Grenzen? Welcher Eingriff wäre zu heftig für dich?
ROLF:
Meine Grenzen sind einfach. Ich kann keine Suspension machen, bei der ich mich viel im Kreis drehe. Dann wird mir schlecht. Das passiert aber auch, wenn ich Karussell fahre. Hält mich aber nicht davon ab, es hin und wieder zu tun. Ich muss nur rechtzeitig aufhören.
Wo sind sonst meine Grenzen? Wie ich schon erwähnt habe, verschieben die sich mit der Zeit.
Ich habe gesagt, dass ich mein Gesicht nicht tätowieren lassen will, deswegen habe ich mir im Gesicht ein Cutting mit Skin Removal machen lassen. Ist mein einziges Cutting. Sonst gefallen mir Tattoos besser. Das ist aber keine Grenze, sondern es gefällt mir einfach besser.
Bei anderen Leuten ist es einfach: Die Grenze ist einfach da, wo es freiwillig ist. Macht es jemand freiwillig, dann ist es ok. Ich brauch es auch nicht zu verstehen. Jeder soll glücklich werden, wie er will. Das ist meine Toleranz.
VICKY:
Danke lieber Rolf für diesen tollen Schluss-Satz (besser hätt ich’s nicht sagen können) und vielen lieben Dank für das aufschlussreiche Interview!
Cheerio, eure Vicky 🙂